Leitsatz
1. Ein durch Allgemeinverfügung verhängtes temporäres Verbot des Außer-Haus-Verkaufs und der Abgabe alkoholischer Getränke kann aufgrund der aktuell andauernden Coronapandemie dem Grunde nach auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden.
2. Liegen - wie vorliegend - die tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vor, steht der zuständigen Infektionsschutzbehörde bei der Auswahl der gebotenen Maßnahme ein Ermessen zu. Die Befugnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG steht aber unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt. Bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, ist insbesondere in den Blick zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen den unmittelbaren Störer oder gegen einen Nichtstörer richtet.
3. Zur Frage der Geeignetheit eines temporären Alkoholverkaufsverbotes an bestimmten Tagen zu bestimmten Uhrzeiten, mit dem ein Niederlassen einer Vielzahl von Personen an stark frequentierten Orten zum Zwecke des Alkoholkonsums und damit eine Unterschreitung des vorgeschriebenen Mindestabstandes verhindert werden soll.
4. Der Geeignetheit steht es nicht entgegen, dass alkoholische Getränke auch vor Beginn des von der Allgemeinverfügung erfassten Zeitraumes und jederzeit außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches erworben werden können. Denn die Attraktivität eines öffentlichen Raumes zum beabsichtigten geselligen Beisammensein wird maßgeblich durch die jederzeitige, unmittelbare Verfügbarkeit von Lebensmitteln, insbesondere alkoholischen Getränken, geprägt.
5. Ein temporäres Alkoholverkaufsverbot, durch das Verstöße gegen die aktuell geltende Coronaverordnung verhindert werden sollen, ist nicht erforderlich, wenn keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in dem von dem Verbot erfassten räumlichen Geltungsbereich die mit der Coronaverordnung erlassenen Ge- und Verbote regelmäßig missachtet werden.
6. Zur Frage der Angemessenheit der Inanspruchnahme einer nichtverantwortlichen Person durch ein temporäres und zeitlich befristetes Alkoholverkaufsverbot.
7. Die zuständige Infektionsschutzbehörde hat im Hinblick auf die immer weiter fortschreitenden Lockerungen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens kontinuierlich und besonders kritisch zu prüfen, ob die getroffenen Grundrechtsbeeinträchtigungen noch in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. So ist im Falle der Inanspruchnahme von Nichtstörern insbesondere stets zu prüfen, ob vorrangig eine Inanspruchnahme der unmittelbaren Verursacher der Gefahr zu erfolgen hat. Sie hat auch Schutzmaßnahmen wie ein Alkoholkonsumverbot ernsthaft in Betracht zu ziehen und dabei die Erfahrungen anderer Städte, in denen diese Maßnahme ergriffen wurde, zu berücksichtigen. Auch muss sie stets kritisch hinterfragen, ob ein Vorgehen gegen Störer durch Platzverweise und unmittelbaren Zwang ein geeignetes Mittel zur Verfolgung des angestrebten Ziels darstellt.