Leitsatz
1. Mangels Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale würde dem Antragsteller zwar keine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigende Verfolgung drohen. Ebenso könnte nicht von einem drohenden ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgegangen werden, da der Antragsteller dann als Angehöriger der regulären Streitkräfte der Russischen Föderation keine Zivilperson im Sinne der genannten Vorschrift darstellen würde (vgl. Art. 50 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte – Genfer Zusatzprotokoll I i.V.m. Art. 4 lit. A) Nr. 1 des III. Genfer Abkommens vom 12.8.1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen – III. Genfer Abkommen).
Zumindest kommt indes in seinem Fall wegen der Kampfhandlungen zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine jedoch ein ihm drohender ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Betracht.
2. Es stellt nach Auffassung der Einzelrichterin eine unmenschliche oder erniedrigende Handlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar, wenn dem Antragsteller in der Russischen Föderation staatlicherseits Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylG fallen; § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.
3. Es stellt nach Auffassung der Einzelrichterin eine unmenschliche oder erniedrigende Handlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar, wenn dem Antragsteller in der Russischen Föderation staatlicherseits Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylG fallen; § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.
4. Es ist hier auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180) davon auszugehen, dass der 22jährige Antragsteller überhaupt gegen seinen Willen zu den Streitkräften eingezogen würde. Der Antragsteller ist Reservist. Er hat bereits seinen Wehrdienst von 2019 bis 2020 auf der Krim geleistet. Dies ist vorliegend ausreichend glaubhaft gemacht. Er hat seinen Wehrdienst bereits in seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 08.02.2022 - mithin vor Beginn des russischen Angriffskrieges - vorgetragen und im gerichtlichen Verfahren sein Militärbuch in Kopie vorgelegt. Aus der Vorladung ergibt sich zwar nicht die direkte Einberufung zum Militärdienst in der Ukraine. Der Antragsteller ist allerdings als Reservist erfasst worden und sollte am 07.06.2022 zur Prüfung seiner Dokumente über den Wehrdienst auf dem Militärkommissariat erscheinen. Im Rahmen der Teilmobilmachung ab September 2022 gehörte er zu dem Personenkreis der wehrdienstfähigen Reservisten, die zu Kampfhandlungen eingezogen wurden. Dem hat sich der Antragsteller entzogen und deshalb droht ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung.